Ein letztes Mal
sitze ich auf dem blau bemalten Picknicktisch in der Innenstadt Reykjavíks und
sehe mir die Menschen an. Sie tragen Sonnenbrillen, Sandalen mit Wollsocken und
teilweise auch Hüte. Die Touristen sind in der Überzahl- fast höre ich mehr
Deutsch als Isländisch. Das Wetter ist gut: es regnet nicht. Ein letztes Mal (und
vielleicht auch zum ersten Mal :b) strahlt mir die isländische Sonne ins
Gesicht, ich muss niesen und blinzeln.
Zwischen
Abschiedsschmerz und Farwellstress vergesse ich zu denken, beginne zu
sinnieren. Philosophiere über Zeit und Liebe und allerhand andere Abstrakta. „Sowie
ein Tag in die Nacht übergeht, geht Sommer hier in Winter über“, denke ich und
komme mir unheimlich schlau vor, während ich um 0 Uhr in meinem Zimmer sitze
und zum ersten Mal wieder elektronisches Licht anmachen muss. Die
wiederkehrende Dunkelheit kommt mir vor wie eine Metapher nur für mich. Mein
Jahr in Island geht zu Ende und es wird wieder dunkel.
Ein neuer
Abschnitt meines Lebens fängt an und zu Beginn werde ich wohl manchmal eine
Taschenlampe brauchen. Werde mir meinen Weg durch den neuen Irrgarten, den das
Leben mir bieten wird, erst bahnen müssen; werde auf Hindernisse stoßen und sie
überwinden; werde Neues erleben und lernen; werde Höhen und Tiefen erfahren,
nur damit dann wieder Nacht werden kann- bis erneut ein neuer Tag beginnt.
Es ist ein
wiederkehrender Rhythmus. Ganz so wie in meinem Waldorf Kindergarten:
Morgenkreis- Trinkzeit- Draußenzeit- Mittagessen- Freies Spiel- Singstunde-
Trinkzeit- Draußenzeit. Sie werden mir abgehen, die kleinen Kinder mit ihren
verrotzten Nasen, mit ihren vollen Windeln und mit ihren wunderschönen Herzen.
Sie werden mir abgehen- all die mysteriösen, mystischen, feengleichen Isländer
mit ihrem abstrusen Kleidungsstil und ihren „Wochenend-Bands“. Sie werden mir
abgehen- meine Mitarbeiter: Sandra, wenn sie mal wieder „all over the place is“
und trotzdem noch 5 Tassen Kaffee trinkt; Saevar, wenn er in die Küche kommt
nur um sich zu beschweren, dass niemand Geburtstag hat und es demnach keinen
Kuchen gibt; und Alma, wenn sie sich, mit drei schreienden Kindern im
Schlepptau, in aller Ruhe einen Tee zubereitet. Sie werden mit abgehen- meine
Mitbewohner: Kike, wenn er um 9:30 zu frühstücken beginnt, während er eigentlich
ab 9 Uhr in der Arbeit sein sollte; Maria, wenn sie mich fragt ob sie Doritos
kaufen soll, damit wir eine Versorgung haben, wenn wir uns am Abend eine Folge
Charmed ansehen werden; ja sogar Filip, wenn er sich darüber beschwert, dass
wir zu laut lachen. Sie werden mir abgehen all die Freunde die ich hier
gefunden habe, sie werden mir abgehen alle magischen Momente.
Ja Island- ich gebe es zu, ich werde dich vermissen.
Ja Island- ich gebe es zu, ich werde dich vermissen.
Die Melancholie
geht mit mir durch und ich reite auf ihr wie auf einem fliegenden Teppich. Ich
höre eigentlich außer „Melancholy Hill“ von den Gorillaz nichts anderes mehr
und Zeit kommt mir vor wie ein vom Mensch erfundenes, wirres Konstrukt.
Meine „Zeit“ in
Island geht zu Ende.
Ich wiederhole es einige Male in meinem Kopf und ich kann es noch nicht ganz begreifen.
Vielleicht
verstehe ich es wenn ich 80 Jahre alt bin und mit meinem Mann auf unserer
Hollywood-Schaukel sitze und über vergangene Tage rede; vielleicht verstehe ich
es aber auch schon morgen. Morgen- wenn ich im Flugzeug sitze und die eine oder
andere Träne vergieße. Tränen die nicht bitter schmecken, sondern süß. Ein
anderes Lied, das ich momentan hören kann: „Bitter Sweet Symphony“ (cause it’s a
bittersweet symphony- that’s life).
Aber ich
bevorzugte schon immer Schokolade und so bin ich glücklich, während nun auch
dieser Tag seine Augen schließt.