Mittwoch, 30. Juli 2014

Zwischen Abschiedsschmerz und Farwellstress

Ein letztes Mal sitze ich auf dem blau bemalten Picknicktisch in der Innenstadt Reykjavíks und sehe mir die Menschen an. Sie tragen Sonnenbrillen, Sandalen mit Wollsocken und teilweise auch Hüte. Die Touristen sind in der Überzahl- fast höre ich mehr Deutsch als Isländisch. Das Wetter ist gut: es regnet nicht. Ein letztes Mal (und vielleicht auch zum ersten Mal :b) strahlt mir die isländische Sonne ins Gesicht, ich muss niesen und blinzeln.

Zwischen Abschiedsschmerz und Farwellstress vergesse ich zu denken, beginne zu sinnieren. Philosophiere über Zeit und Liebe und allerhand andere Abstrakta. „Sowie ein Tag in die Nacht übergeht, geht Sommer hier in Winter über“, denke ich und komme mir unheimlich schlau vor, während ich um 0 Uhr in meinem Zimmer sitze und zum ersten Mal wieder elektronisches Licht anmachen muss. Die wiederkehrende Dunkelheit kommt mir vor wie eine Metapher nur für mich. Mein Jahr in Island geht zu Ende und es wird wieder dunkel.

Ein neuer Abschnitt meines Lebens fängt an und zu Beginn werde ich wohl manchmal eine Taschenlampe brauchen. Werde mir meinen Weg durch den neuen Irrgarten, den das Leben mir bieten wird, erst bahnen müssen; werde auf Hindernisse stoßen und sie überwinden; werde Neues erleben und lernen; werde Höhen und Tiefen erfahren, nur damit dann wieder Nacht werden kann- bis erneut ein neuer Tag beginnt.

Es ist ein wiederkehrender Rhythmus. Ganz so wie in meinem Waldorf Kindergarten: Morgenkreis- Trinkzeit- Draußenzeit- Mittagessen- Freies Spiel- Singstunde- Trinkzeit- Draußenzeit. Sie werden mir abgehen, die kleinen Kinder mit ihren verrotzten Nasen, mit ihren vollen Windeln und mit ihren wunderschönen Herzen. Sie werden mir abgehen- all die mysteriösen, mystischen, feengleichen Isländer mit ihrem abstrusen Kleidungsstil und ihren „Wochenend-Bands“. Sie werden mir abgehen- meine Mitarbeiter: Sandra, wenn sie mal wieder „all over the place is“ und trotzdem noch 5 Tassen Kaffee trinkt; Saevar, wenn er in die Küche kommt nur um sich zu beschweren, dass niemand Geburtstag hat und es demnach keinen Kuchen gibt; und Alma, wenn sie sich, mit drei schreienden Kindern im Schlepptau, in aller Ruhe einen Tee zubereitet. Sie werden mit abgehen- meine Mitbewohner: Kike, wenn er um 9:30 zu frühstücken beginnt, während er eigentlich ab 9 Uhr in der Arbeit sein sollte; Maria, wenn sie mich fragt ob sie Doritos kaufen soll, damit wir eine Versorgung haben, wenn wir uns am Abend eine Folge Charmed ansehen werden; ja sogar Filip, wenn er sich darüber beschwert, dass wir zu laut lachen. Sie werden mir abgehen all die Freunde die ich hier gefunden habe, sie werden mir abgehen alle magischen Momente. 

Ja Island- ich gebe es zu, ich werde dich vermissen.

Die Melancholie geht mit mir durch und ich reite auf ihr wie auf einem fliegenden Teppich. Ich höre eigentlich außer „Melancholy Hill“ von den Gorillaz nichts anderes mehr und Zeit kommt mir vor wie ein vom Mensch erfundenes, wirres Konstrukt.

Meine „Zeit“ in Island geht zu Ende.

Ich wiederhole es einige Male in meinem Kopf und ich kann es noch nicht ganz begreifen.

Vielleicht verstehe ich es wenn ich 80 Jahre alt bin und mit meinem Mann auf unserer Hollywood-Schaukel sitze und über vergangene Tage rede; vielleicht verstehe ich es aber auch schon morgen. Morgen- wenn ich im Flugzeug sitze und die eine oder andere Träne vergieße. Tränen die nicht bitter schmecken, sondern süß. Ein anderes Lied, das ich momentan hören kann: „Bitter Sweet Symphony“ (cause it’s a bittersweet symphony- that’s life).


Aber ich bevorzugte schon immer Schokolade und so bin ich glücklich, während nun auch dieser  Tag seine Augen schließt.